Angesprochen auf mögliche Unregelmäßigkeiten bei den WM-Vergaben 2018 an Russland sowie 2022 an Katar sagte der 76-Jährige dem Schweizer "SonntagsBlick": "Gekaufte WM... Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv."
Auf die Frage, ob er vermute, dass die WM 2006 an Deutschland gekauft gewesen sei, antwortete der Schweizer: "Nein, ich vermute nicht. Ich stelle fest."
Beckenbauer antwortet umgehend
Auf eine Reaktion aus Deutschland musste Blatter nicht lange warten. Franz Beckenbauer, Chef des WM-Organisationskommitees 2006, antwortet in der "Bild" vom Montag: "Ich kann die Äußerungen und Andeutungen von Sepp Blatter nicht nachvollziehen. Er irrt ja schon beim Ergebnis. Es war 12:11 für uns, nicht 10:9. Entscheidend war, dass die acht Europäer geschlossen für uns gestimmt haben."
Helmut Sandrock, Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes, sprach von "nebulösen und völlig haltlosen Andeutungen", die den Zweck haben könnten, "von den aktuellen und aktenkundigen Vorgängen ablenken zu wollen". Auch Fedor Radmann, ehemaliger Vizepräsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006, weist in der morgigen "Tagesspiegel"-Ausgabe die Andeutungen Blatters als "falsch" zurück.
Bei der Vergabe im Juli 2000 war Charles Dempsey das Zünglein an der Waage. Der Neuseeländer hatte sich kurzfristig der Stimme enthalten und machte somit den Weg frei für eine erfolgreiche deutsche Bewerbung. Zuvor war davon ausgegangen worden, dass Dempsey für den aussichtsreichen Mitbewerber Südafrika stimmen würde.
Blatter im Kreuzfeuer der Kritik
Blatter war in den vergangenen Tagen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil brisante Akten in der Affäre um Schmiergeldzahlungen an ranghohe FIFA-Funktionäre dokumentierten, dass er bestens über die Zahlungen informiert gewesen war.
Der Präsident des deutschen Ligaverbandes, Reinhard Rauball, forderte Blatter in einem persönlichen Gespräch zum Rücktritt auf. "Ich sagte ihm, das sei nicht so einfach, wie er sich das vorstelle. Schließlich bin ich vom Kongress gewählt", sagte Blatter. Neben Rauball hatte auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach Kritik an Blatter geäußert. Er sei "erschüttert und geschockt", sagte Niersbach auf einer Schiedsrichtertagung des Deutschen Fußball-Bundes. "Ich habe das bis jetzt nicht glauben können."
Blatter zeigt sich trotz der Ereignisse um die FIFA und seine Person nicht amtsmüde - im Gegenteil. Eine erneute Kandidatur als Präsident würde er "nicht ausschließen", sagte er dem "SonntagsBlick". "Schauen wir mal, wie es mir gesundheitlich geht. Ich war gerade beim Check, habe vier Kilo abgenommen."
Blatter distanziert sich von Havelange
Die Aussage ist nicht nur vor dem Hintergrund der harschen Kritik an Blatter bemerkenswert. Am kommenden Dienstag trifft sich das FIFA-Exekutivkomitee in Zürich und will weitere Reformschritte einleiten. In der Diskussion ist unter anderem eine Amtszeit- und Altersbeschränkung, was mit einer weiteren Präsidentschaft Blatters konterkarieren würde.
Blatter distanzierte sich in dem Interview auch erstmals vom FIFA-Ehrenpräsidenten Joao Havelange, einem der dokumentierten Empfänger von Schmiergeldzahlungen des 2001 pleitegegangenen Sportrechtevermarkters ISL/ISMM. Seine persönliche Meinung sei: "Er muss weg. Er kann nicht Ehrenpräsident bleiben nach diesen Vorfällen."
Der Brasilianer Havelange hatte laut der jüngst veröffentlichten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug Schmiergelder in Höhe von mindestens rund 1,2 Millionen Euro angenommen. Sein Landsmann Ricardo Teixeira hat demnach "Provisionszahlungen" in Höhe von circa 10,5 Millionen Euro kassiert.
Sepp Blatter im Steckbrief