Als Nico Rosberg die Boxengasse nach seinem letzten Reifenwechsel 15 Runden vor Schluss verließ und die Führung direkt vor Lewis Hamilton verteidigte, war klar: Die Zuschauer dürfen sich auf einen echten Showdown freuen!
Während der Deutsche mit den Supersofts ausgestattet wurde, bekam Hamilton einen Umlauf zuvor die härteste Gummimischung aufgezogen. Würde der Weltmeister seinen Teamkollegen noch überholen wollen, müsste er das auf der Strecke tun.
Und Hamilton ging seiner Pflicht nach: Stück für Stück, Zehntel für Zehntel robbte er sich heran. Bis in die letzte Runde hinein. Bis er direkt hinter Rosberg war. Der WM-Führende erwischte Kurve eins nicht perfekt, Hamilton sah seine Chance, zog auf der anschließenden Geraden neben ihn und versuchte es außen in Turn zwei.
Crash in der letzten Runde
Rosberg gab nicht nach, bremste spät - und traf Hamilton an der rechten Seite. Während der Silberpfeil des Engländers nur leicht beschädigt wurde, verlor Rosberg seinen Frontflügel. Hamilton fuhr zum 250. Sieg eines britischen Fahrers, Rosberg musste Max Verstappen und Kimi Räikkönen vorbeilassen. Statt des zweiten Triumphs in Folge, gab es am Ende nur Platz vier.
"Ich hatte die Innenposition und kann das diktieren. Ich muss nicht die Ideallinie nehmen", wies ein sichtlich angefressener Rosberg die Schuld von sich: "Ich war sehr überrascht, als Lewis einlenkte und so die Kollision verursachte. Es hat stets genug Raum für ihn gegeben. Ich bin mega enttäuscht."
Und Hamilton? Der sah die Situation naturgemäß etwas anders. "Ich war auf der Rennlinie, er in meinem toten Winkel. Ich habe geahnt, dass er da ist und bin weit außen gefahren. Als ich eingelenkt habe, war ich am Streckenrand und er kollidierte mit mir. Ich bin dann so schnell auf die Strecke zurück, wie ich nur konnte."
Wer hat Schuld?
Die meisten Experten sehen in Rosberg den Schuldigen. Er habe Hamilton keinen Platz gelassen und so den Zusammenstoß provoziert, heißt es. Auch die Rennstewards waren dieser Meinung. Sie vergaben eine 10-Sekunden-Zeitstrafe sowie zwei Strafpunkte an Rosberg.
Doch: Der gebürtige Wiesbadener hatte Bremsprobleme. Wie Mercedes bestätigte, ließ ihn das Brake-by-Wire-System im Stich. Zudem werfen die Rosberg-Verteidiger ein weiteres Argument in den Raum: Hamilton hätte früher in die Auslaufzone ausweichen und so eine Kollision vermeiden können. So wie es Rosberg beispielsweise in Austin und Suzuka 2015 gemacht hatte. Auch die Fans am Red-Bull-Ring sahen die Verantwortung beim dreifachen Weltmeister - und ließen ihrem Unmut mit Buhrufen während der Siegerehrung freien Lauf.
"Es ist nicht schwarz-weiß. Es benötigt immer zwei, damit es zum Kontakt kommt", ließ Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff die Schuldfrage offen, um dann aber mit seinen Fahrern hart ins Gericht zu gehen und Konsequenzen anzudrohen.
Wolff droht mit Stallorder
"Das war hirnlos! Wir können das als Team nicht akzeptieren. So geht es nicht mehr, alles Reden hilft scheinbar nicht", polterte Wolff los: "Vielleicht muss man unpopuläre Entscheidungen treffen und sie einfach nicht mehr gegeneinander fahren lassen. So wie alle Teams in der Vergangenheit mit Stallorder."
Und weiter: "Wir lieben es, wenn sie sich bekämpfen wie 2014 in Bahrain. Aber wir hassen es, wenn es kracht. Wenn sie das nicht verstehen, müssen wir für sie entscheiden. Ich persönlich finde das zum Kotzen. Es darf einfach nicht mehr passieren und fertig."Wolff tätigte diese Aussagen direkt nach Rennende, geladen von Emotionen. Wie ernst sie daher zu nehmen sind, wird die Zukunft zeigen. Doch klar ist, dass sich seine Meinung zu einer möglichen Teamorder seit dem Österreich-GP gewandelt hat. Als die beiden Mercedes vor knapp zwei Monaten in Barcelona zusammenkrachten und für einen Doppel-Ausfall sorgten, schloss Wolff etwaige Konsequenzen noch aus.
Vertragsverlängerung in Gefahr?
Die Piloten frei fahren zu lassen, war eigentlich immer Mercedes' Prämisse. Die Stuttgarter wollen Action auf der Rennstrecke und den Zuschauern bei aller Dominanz des eigenen Teams Kämpfe an der Spitze bieten.
Eine Philosophie, die den Silbernen in der Vergangenheit viel Lob einbrachte. Und eine, die Aufsichtsratsboss Niki Lauda nicht aufgeben möchte. "So weit kommt es noch, dass unsere Fahrer nicht mehr frei fahren dürfen", stellte sich der dreimalige Formel-1-Weltmeister gegen Wolff.
Ob Mercedes seine Fahrer in Zukunft einbremst, dürfte Rosberg nach der herben Enttäuschung am Sonntag erstmal egal sein. Statt seinen Vorsprung in der Weltmeisterschaft auf 31 Zähler auszubauen, liegt der Blondschopf nun nur noch mit elf Punkten in Front. Das Momentum scheint somit wieder bei Hamilton zu liegen.
Außerdem kämpft er noch immer um eine Vertragsverlängerung beim besten Team der vergangenen zweieinhalb Jahre. Eigentlich standen beide Parteien kurz vor einer Einigung, hat der Zwischenfall in Spielberg nun negative Auswirkungen für Rosberg? "Nein, der Vertrag ist eine langfristige Entscheidung und wird nicht von einem einzigen Vorfall im Rennen abhängen", beruhigte Wolff seinen Schützling.
Immerhin eine gute Nachricht für Rosberg.
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