"Eine Sekunde? Das ist absurd"

Von Interview: Christoph Köckeis
Kriegsrat bei Red Bull: Weltmeister Vettel, Motorsportchef Marko und Teamchef Horner sind besorgt
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Star-Designer Adrian Newey zufolge kämen drei Tage einer Zeitverbesserung um rund eine Sekunde gleich. Erhält er Ihre Zustimmung?

Heidfeld: Nachdem Testfahrten auf den Winter beschränkt sind, macht das einen Sprung durchaus möglich. Eine Sekunde pro Runde erscheint mir absurd. Mercedes wird sich kaum voll auf die Fahrzeug-Entwicklung konzentriert haben. Aber: Zu sagen, da würde man nichts lernen, ist totaler Quatsch.

SPOX: Glauben Sie, der Erkenntnis-Vorsprung im Umgang mit den Pneus ist womöglich für die Fahrer viel bedeutender als für die Ingenieure?

Heidfeld: Als ich die Inboard-Aufnahmen von Monaco sah, kam mir derselbe Gedanke. Man hörte sogar, wie vorsichtig Rosberg und Hamilton die Pirellis behandelten. Sie haben überlegt und entwickelt, nur nichts gefunden. Vielleicht erkannte man stattdessen das fahrerische Potenzial, etwa mit weniger Wheel-Spin zu beschleunigen. Die Funksprüche passten ins Bild: Man gab Rosberg anfangs relativ langsame Rundenzeiten vor. Sebastian Vettel klagte, die Reifen seien am Limit. Bei Nico waren noch 50 bis 60 Prozent Gummi drauf, sie waren von der Traktion bedeutend besser. Dieser Unterschied ist eklatant.

SPOX: Mercedes schwankte bisweilen zwischen Qualifying-Dominanz und fahrender Schikane am Sonntag. Worauf ist das zurückzuführen?

Heidfeld: Diese Probleme ziehen sich über zwei bis drei Jahre. Immer war die Tendenz auf eine Runde stark, im Rennen konnte man die Pace nicht bestätigen. Bis auf wenige Ausnahmen. Selbst die schlausten Köpfe in der Formel 1 zerbrechen sich den Kopf und finden keine Lösung. Sie können nicht alles umbauen, um schneller oder weniger Temperatur zu bekommen. Obwohl die Entwicklung derart rasant verläuft und wahnwitzige Summen investiert werden, steckt das manchmal im Boliden.

BLOG Inside DTM - Spielberg: Präzision auf engstem Raum

SPOX: In Montreal wird die Belastung für das schwarze Gold ungleich höher sein.

Heidfeld: Durch die Highspeed-Passagen wirken unheimliche Kräfte. Die Teams sollten tunlichst die Limits einhalten, die speziell von Pirelli als Richtwerte vorgegeben werden. Da geht es beispielsweise um weniger Luftdruck oder mehr Sturz. Damit zu experimentieren, wäre nicht ratsam, sonst kann dir alles um die Ohren fliegen.

SPOX: Blechsalat gab es in Monaco zuhauf: Mal wieder übertrieb es so mancher. Trügt der Eindruck oder werden die Jungs von Jahr zu Jahr übermütiger?

Heidfeld: Man darf es nicht verallgemeinern: Adrian Sutil fuhr sensationell bis auf Platz fünf. Sergio Perez agierte extremer. Die Routiniers beobachteten zum Glück den Rückspiegel aufmerksam, sonst hätte es viel öfter gekracht. Nicht nur mit Perez, aber speziell mit ihm. Was mir negativ auffiel, waren seine Kommentare zum Vorfall mit Kimi Räikkönen. Er dachte, nur weil zwei andere Piloten inklusive Fernando Alonso die Tür geöffnet hatten, wäre er im Recht und es müsste wieder klappen. Offensichtlich ist: Die Stewards greifen dieses Jahr seltener ein, leichte Berührungen werden nicht bestraft. Dadurch wird risikobehafteter vorgegangen. Die FIA nimmt das bewusst in Kauf, um Rad-an-Rad-Kämpfe zu forcieren. Und das gefällt den Zuschauern.

SPOX: Montreal garantiert durch DRS, KERS und die lange Gerade meist Überhol-Action. Wie werden sich die Kräfteverhältnisse entwickeln?

Heidfeld: Die Frage ist, welche Updates geliefert werden. Wahrscheinlich werden die üblichen Verdächtigen vorne mitmischen. Mercedes verfügt über einen starken Motor und guten Topspeed. Darauf kommt es an. Red Bull hat ein überaus ausgeglichenes Auto, das überall ganz gut ist.

SPOX: Stichwort Power: 2014 kommen die V6-Turbo-Aggregate. Unlängst sprach RBR-Teamchef Christian Horner das aus, was viele befürchten: eine Kostenexplosion. Warum?

Heidfeld: Neuerungen in der Formel 1 lassen die Ausgaben erst dramatisch steigen. Die Produktionskosten werden anscheinend sinken, dafür sind jene für die Entwicklung, vor allem parallel zur Saison, enorm. In erste Linie sind davon die Motorenhersteller betroffen. Sie werden versuchen, das Geld anderswo einzunehmen. Der Haken: Viele Teams befinden sich in finanziellen Turbulenzen. Zudem muss das Chassis, die gesamte Aerodynamik dem neuen Konzept angepasst werden. Nachdem das Reglement noch nicht ausgereizt sein wird, liegen wahrscheinlich die Besten und Reichsten voran. Außer es gelingt ein Geniestreich, wie damals Brawn-GP mit dem Doppel-Diffusor.

Der aktuelle WM-Stand