These: Das fahrerische Können macht den Unterschied
Nick Heidfeld: Ich denke, beide hätten ganz klar den Titel verdient. Ich finde auch, dass beide die beste Saison ihrer Karriere fahren, was schon eine unglaubliche Leistung ist, zumal sie jeweils schon zwei Mal Weltmeister geworden sind. Auch wenn es in Deutschland vielleicht nicht so gerne gehört wird: Mehr beeindruckt hat mich die Saison vom Fernando. Da muss ich ehrlich sagen: Seitdem ich die Formel 1 beobachte und in der Formel 1 bin, habe ich noch nie jemanden so eine Saison fahren sehen. Komplett fehlerfrei und immer das Maximum rausgeholt.
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Alexander Maack: Das gilt aber eigentlich auch für Sebastian Vettel. Okay, er hatte während der ersten Saisonhälfte einige Schnitzer. Er hat Jenson Button in Hockenheim neben der Strecke überholt, er wurde in Spanien wegen des geöffneten DRS bei gelber Flagge bestraft und in Malaysia kollidierte er beim Überrunden mit Karthikeyan. Dennoch denke ich, dass seine Leistung auf einer Stufe mit der von Alonso anzusiedeln ist, vorallem im zweiten Halbjahr war seine Konstanz auf höchstem Niveau beeindruckend. Was wir nicht vergessen sollten: Auch Red Bull hatte zu Saisonbeginn Probleme. Das Verbot des Doppeldiffusors hat das Team mehr getroffen als die Konkurrenz. Für Vettel war das ungewohnt, weil er 2011 einfach drückend überlegen war.
Heidfeld: Ja, man muss ganz klar sagen, dass der Sebastian eine fantastische Saison fährt; und man muss bedenken, dass Fernando ab und zu ein bisschen übertreibt, indem er sich in den Vordergrund schiebt und das Auto ein bisschen arg schlecht darstellt. So schlecht, wie er tut, kann es gar nicht sein. Gerade am Anfang der Saison war Ferrari aber hintendran. Aber: Wenn irgendwo eine Chance war, einen Platz zu holen, hat er das auch gemacht. Fernando hat Dinge geschafft, wo man gedacht hat, dass das mit dem Auto nicht möglich ist.
mySPOX-User Manül: Das sehe ich ähnlich wie Nick, kann mich da einer gewissen Subjektivität aber nicht entziehen. Ich bin seit Alonsos Formel-3000-Auftritt in Spa 2000 fasziniert von ihm. Seine Rennintelligenz, seine Kaltschnäuzigkeit auf der Strecke, sein Killerinstinkt, seine Zielstrebigkeit und sein Wille sind unglaublich! Spätestens bei seiner ersten Pole in Kuala Lumpur gleich im zweiten Rennen für Renault 2003 hat er damals auch dem Formel-1-Zirkus seinen wahnsinnigen Speed bewiesen. Sein erster Sieg im gleichen Jahr war für mich einer der schönsten Formel 1-Momente. Er ist für mich ohne Zweifel der kompletteste Fahrer im Feld.
Maack: Mich erinnert der aktuelle Zweikampf irgendwie an die Saison 1994. Der Kampf damals: Damon Hill gegen Michael Schumacher. Der Brite hatte im Williams das klar bessere Auto. Schumachers Benetton hatte zwar den gleichen Motor, konnte aber bei der Aerodynamik nicht mithalten. Hill war sicher kein ganz schlechter Fahrer, durch die drückende Überlegenheit seines von Adrian Newey entwickelten Autos, war der Triumph von Schumacher daher umso beeindruckender.
Manül: ... oder aber der von Alonso 2005! (lacht) Ohne Zweifel wäre der Titel für ihn unfassbar. Alonso sitzt im vermeintlich langsameren Auto, aber angesichts des angekündigten Niederschlags am Rennsonntag in Kombination mit seiner Rennintelligenz und seinem Instinkt sehe ich seine Chancen zumindest größer, als bei einem trockenen Rennen. Ich würde sagen, die Chancen stehen 70:30 für Vettel, da er vor Alonso starten wird.
Heidfeld: Ich würde auch sagen, dass Fernando näher an seinem persönlichen Limit ist als Sebastian, der immer noch Erfahrungen sammelt und dabei ist besser zu werden - obwohl er schon eine hohe Performance an den Tag legt und ein viel besserer Fahrer ist, als nach seinem ersten Titel.
These: Die Psyche entscheidet die WM
Manül: Ich sehe Alonso in diesem Punkt leicht im Vorteil, andererseits hat Vettel oft genug bewiesen, dass er selbst größtem Druck standhalten kann. Er muss es einfach schaffen, sein Punktepolster in Selbstbewusstsein zu verwandeln und konzentriert zur Sache gehen. Sobald jedoch sein Red Bull auch nur etwas muckt oder ihm ein Fahrfehler unterläuft, ist die Nervösität sofort da. Auf diese Situation muss Alonso warten und bis dahin den Druck auf Vettel so groß wie möglich halten.
Maack: Wenn wir über psychischen Druck reden, dann dürfte die Ausgangslage eindeutig sein. Alonso hat nichts zu verlieren. Auf der anderen Seite hat er selbst aber auch immensen Druck. Er weiß, dass er eigentlich gewinnen muss, solange Vettel nicht komplett ausfällt. Zudem ist die Konkurrenzsituation für ihn größer. Der McLaren ist schneller als Ferrari. Auch Lotus hat das Potenzial vor der Scuderia zu liegen. Und wer weiß - vielleicht überrascht wieder ein Fahrer der Mittelklasse-Teams. Immerhin kann Alonso auf seine Erfahrung setzen. Er kennt jede Situation in der Formel 1. Er ist beim Hinterbänkler-Team Minardi gefahren, Renault war auch nicht immer ein Top-Auto. Er weiß in jedem Moment, wie er sich verhalten muss.
Manül: Zumindest kann ich in den letzten Jahren immer eine Verbesserung von Jahr zu Jahr bei ihm erkennen. Er arbeitet an sich selbst, lernt aus seinen Fehlern, sein Streben nach dem maximal Möglichen ist nicht zu bändigen. Hinzu kommt, dass er über die Jahre gelernt hat, ein Team hinter sich zu vereinen und den bestmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. In den WM-Entscheidungen der letzten Jahre machte er zudem einen immer abgeklärteren Eindruck. Er strahlt Souveränität und Unverwundbarkeit aus, was ich ebenfalls auf seine verlorenen Endkämpfe zurückführe. Seine Erfahrung spielt insofern eine beachtliche Rolle, ja.
Heidfeld: Das stimmt schon. Die Erfahrung ist ein kleiner Vorteil für Fernando. Größer ist aber der Vorteil, dass er nichts zu verlieren hat. Ferrari kann einfacher irgendetwas versuchen. Wenn Fernando dann nicht den Titel gewinnt, ist das Okay. Das kann auch keiner erwarten. Wenn sie es aber schaffen, sind sie die großen Helden. Bei Sebastian ist das natürlich genau anders herum. Aus psychologischer Sicht ist es für Fernando also einfacher.
These: Die Erinnerung ans WM-Finale 2010 wird für Vettel zur Belastung
Heidfeld: Eins ist klar: Mit Sicherheit erinnern die sich daran. Speziell Fernando! Das war damals richtig bitter für ihn. Selbst wenn er sich nicht daran erinnern will, wird er in den nächsten Tagen oft genug darauf angesprochen. Einerseits wird er sich darüber ärgern, andererseits aber auch Hoffnungen darauf setzen, dass es nochmal passiert. Er weiß: Es ist möglich.
Maack: Wobei sie sich nicht nur an Abu Dhabi 2010 erinnern werden. Die Entscheidungen im letzten Rennen bleiben für immer im Gedächtnis. Egal, ob man selbst fährt oder nur zuguckt. Hamilton gegen Massa, Schumacher gegen Villeneuve, Prost gegen Lauda oder gegen Mansell und Piquet. Das sind legendäre Ereignisse, die einfach hängen bleiben. Egal ob die Entscheidung aus einem Defekt, einem Fahrfehler oder einem Taktikfehler wie bei Ferrari 2010 herrührt.
Heidfeld: 2010 waren es sogar 15 Punkte, die Sebastian aufgeholt hat. Das zeigt, dass es immer möglich ist. Genau diese Ausgangssituation könnte für Sebastian eine kleine Schwierigkeit darstellen, weil Sebastian in einer neuen Situation ist. 2010 war er der Jäger, hat es fantastisch gemacht und geschafft. Für Red Bull und Vettel ist es kein Selbstläufer. Aber sie haben aus Ferraris damaliger Situation gelernt und angekündigt auf Sieg zu fahren.
Manül: Selbstverständlich erinnern sich alle Beide daran! Für Vettel wird es immer einer der größten Momente seines Lebens bleiben, so wie es bei Nando die größte Enttäuschung bleiben wird. Jedoch sind beide Vollprofis, die daraus ihre Lehren ziehen. Alonso scheint dieses Gefühl der Niederlage in Motivation und Ehrgeiz umgewandelt zu haben, während Vettel aus diesem Erfolg sehr viel mehr Selbstbewusstsein generiert hat. Beide hat es zu besseren Piloten gemacht.
Heidfeld: Die umgekehrte Ausgangssituation ist bezeichnend. Vettel ist jetzt das erste Mal in der Situation, wo ein vierter Platz für den Titel reicht. Es wäre also möglich, taktisch zu fahren. Das hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Letztes Jahr hat er vorzeitig überlegen den Titel gewonnen. Wie ich ihn kenne, wird er versuchen das Maximum herauszuholen und zu gewinnen. Trotzdem ist es eine neue Situation und man hat in der Vergangenheit nicht nur bei Alonso, sondern auch bei anderen Fahrern gesehen, dass das nicht einfach ist. Das kann schnell in die Hose gehen!
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