Damit übernahm Hamilton wieder die Führung in der WM-Wertung von dem Niederländer. Ein kleines Drama erlebte Polesetter Lando Norris, der bis in die Schlussphase geführt hatte. Im Reifenpoker nach dem einsetzenden Regen setzte der 21-Jährige im McLaren aber auf die falschen Pneus und fiel zurück.
"Es wäre schwierig geworden, an Lando vorbeizukommen, ohne Verkehr oder einem Fehler, und Fehler hat er keine gemacht", sagte Hamilton nach der Zieleinfahrt: "Dann kam der Regen, und das Team hat einen fantastischen Job gemacht." Über seinen 100. GP-Triumph meinte der Brite: "Ich bin sehr dankbar für diese Punkte und diesen Sieg. Die Nummer 100 hat so lange gedauert, ich wusste gar nicht, ob sie überhaupt noch kommt." Mehr als zwei Monate und fünf Rennen hatte er warten müssen auf den Jubiläums-Erfolg. Es sei allerdings auch "ein Traumergebnis für Max" gewesen.
Für Red Bull war auch Verstappens zweiter Rang ein kleiner Sieg. Auf der Mercedes-Strecke hatte man sich geringe Chancen ausgerechnet, daher nahm das Team den ohnehin bald notwendigen Antriebswechsel und die damit verbundene Strafe in Kauf. "Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben", sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko im Vorfeld - Verstappen gelang dass eindrucksvoll.
"Gott sei Dank kam der Regen", sagte Verstappen später, "nur einen Platz auf Lewis zu verlieren ist definitiv nicht schlecht. Als ich heute morgen aufgewacht bin, habe ich dieses Ergebnis definitiv nicht erwartet."
Anders sah die Gemütslage im McLaren-Lager aus. "Bis drei Runden vor Schluss war es ein super Wochenende für uns", sagte McLarens deutscher Teamchef Andreas Seidl bei Sky: "Aber wir haben uns verzockt." So konnte Hamilton auch die eindrucksvolle Mercedes-Serie ausbauen: Seit 2014 haben die Silberpfeile jedes Rennen in Sotschi gewonnen.
Russland-GP: Die Analyse
Polesetter Norris erwischte aus der Spitzengruppe den besten Start, Sainz saugte sich auf dem Weg zu Kurve eins allerdings im Windschatten des McLaren-Piloten heran und ging noch auf der Start- und Zielgerade vorbei. Noch schlimmer erwischte es Hamilton. Auch der amtierende Weltmeister kam eigentlich gut vom Fleck, wurde dann jedoch von George Russell im Williams blockiert und musste Lance Stroll (Aston Martin) und Norris-Teamkollege Daniel Ricciardo ziehen lassen.
Im hinteren Teil des Feldes machte Kimi Räikkönen die meisten Plätze gut. Der Finne kletterte von Startplatz 13 auf P10 nach vorne, auch der von ganz hinten gestartete Verstappen machte einen Satz auf Rang 17. Vettel verlor hingegen eine Position und fiel nach der ersten Runde auf den elften Platz zurück.
Der erste Stint stand dann ganz im Zeichen der Aufholjagd Verstappens. Während an der Spitze Sainz und Norris eine größere Lücke zu dem an drei liegenden Russell auffuhren und Hamilton sich seine Zähne verzweifelt an Monza-Sieger Ricciardo ausbiss, pflügte der Niederländer durchs Feld.
Mit den Hinterbänklern Nicholas Latifi (Williams), Antonio Giovinazzi (Alfa Romeo) und Nikita Mazepin (Haas) hatte Verstappen ebenso wenig Probleme wie mit Valtteri Bottas im zweiten Mercedes. Mit einem schönen Überholmanöver ging der Red-Bull-Pilot in Runde sieben am Finnen vorbei, nach zehn Runden fand sich Verstappen bereits auf dem zwölften Platz wieder.
Russland-GP: Regenschauer bringt alles durcheinander
Mit den ersten Boxenstopps nach etwa 15 Umläufen kam dann auch ganz vorne Bewegung rein. Den Anfang machte Stroll, der seine Mediums für frische, harte Pneus tauschte, einen bzw. zwei Umläufe später machten es ihm Russell und Sainz gleich.
Länger fuhren unter anderem Ricciardo, der erst nach 23 Runden zur Abfertigung in die Boxengasse abbog. Beim Australier hakte es aber beim Reifenwechsel vorne rechts, weshalb er seinen Platz später an Hamilton verlor, der via Overcut leichtes Spiel mit dem McLaren hatte. Dennoch behauptete er seine Position gegenüber Verstappen, der zeitgleich mit Hamilton in Runde 27 seine Pneus tauschte.
Mit den frischen Reifen zeigte sich schnell die wahre Pace des Mercedes. Sowohl Stroll als auch Sainz wurden von Hamilton innerhalb der ersten Runden nach dem Stopp geschluckt, im Anschluss eröffnete der amtierende Weltmeister die Jagd auf den in Führung liegenden Norris. Verstappen musste seinerseits spätestens nach dem Reifenwechsel abreißen lassen. Der Niederländer fand keinen Weg an Ricciardo vorbei.
Ein Regenschauer sollte die Schlussphase schließlich komplett auf den Kopf stellen. Hamilton und Norris verweigerten an der Spitze zunächst einen Wechsel auf Intermediates. Da der Mercedes-Pilot auf der Strecke aber keinen Weg an Norris vorbei fand, entschied man sich drei Runden vor Schluss dann doch für einen Stopp.
Der Regen wurde schließlich zu stark für die Slicks von Norris. Da das restliche Feld bereits auf Inters gewechselt hatte, fiel der Brite bis auf Rang sieben zurück. Nutznießer war plötzlich wieder Verstappen, der früh seine Chance erkannte und auf Rang zwei sprang. Dritter wurde Sainz.
Russland-GP: Die Reifenstrategie
Der strategische Kniff von Mercedes, Bottas mit einem Motoren-Tausch und der einhergehenden Strafe weiter hinten im Feld starten zu lassen und damit Verstappen womöglich entscheidend aufzuhalten, stellte sich bereits nach sieben Runden als totaler Fehlgriff heraus.
Bottas wurde von Verstappen überholt, danach spielte der Finne in den taktischen Entscheidungen der Silberpfeile keine Rolle mehr. Der Niederländer kämpfe sich hingegen mit großen Schritten durchs Feld, nach 25 Runden war man bereits in Schlagdistanz zu Hamilton.
Bei Mercedes entschied man sich deshalb für einen etwas früheren Stopp, um Verstappen auf einen langen zweiten Stint auf den Mediums zu zwingen. Das stellte sich als gute Entscheidung heraus. Während Hamilton mit den frischen Hards dem Sieg entgegenfuhr, blieb Verstappen im Verkehr stecken.
Die Spitzengruppe teilte sich auf der anderen Seite strategisch in zwei Hälften auf. Stroll, Sainz und Russell zogen ihre ersten Reifenwechsel extrem weit nach vorne und stoppten bereits nach 15 Umläufen. Anders handhabten es die beiden McLaren-Piloten, die einen längeren ersten Stint fuhren und via Overcut versuchten, an erstgenannten Fahrern vorbeizukommen.
Bei Ricciardo klappte des nur bedingt. Aufgrund eines langsamen Boxenstopps verlor der Australier wichtige Zeit beim Reifenwechsel und fiel trotz eines pace-technisch ordentlichen ersten Stints hinter Sainz, Stroll und Russell zurück. Profiteur war Norris, der die meiste Zeit des Rennens freie Fahrt hatte und so nie in Gefahr geriet seinen Podestplatz zu verlieren.
Der Regenschauer am Ende brachte dann alles noch einmal durcheinander. Letztlich entschieden sich alle Piloten für den notwendigen Stopp auf Inters, die Platzierungen wurden aber ordentlich durchgewürfelt.
Highlight des Rennens: Verstappens Aufholjagd
Der Sotschi Autodrom ist gewiss nicht als Red-Bull-Lieblingsstrecke bekannt, Max Verstappen zeigte am Rennsonntag in Russland dennoch, wie man sich mit einem unterlegenen Auto durchs Feld kämpfen kann. Der erste Stint des Niederländers war beeindruckend, nach dem (viel zu frühen) Stopp drohten ihm hinten raus die Reifen auszugehen. Der Regenschauer rettete schließlich den Podestplatz.
Top des Rennens: Lewis Hamilton
Ja, der Mercedes war in Sotschi das unbestritten beste Auto. Und ja, der Start von Lewis Hamilton war alles andere als berauschend. Dennoch meldete sich der amtierende Weltmeister mit einer (die erste Runde ausgenommen) starken Leistung im WM-Kampf zurück. Vor allem nach dem Boxenstopp ließ Hamilton die Muskeln spielen. An Sainz und Stroll ging er spielend vorbei, auch im schließenden Regen blieb er cool.
Flop des Rennens: Lando Norris
Nach so einer Performance fällt es schwer, den Briten als "Flop des Rennens" zu betiteln. Dennoch war es Norris' Entscheidung, im Schlussspurt auf den Slicks zu bleiben und keine Inters aufzuziehen. Damit schmiss der McLaren-Fahrer nicht nur den Sieg weg, sonders auch wichtige Punkte. Aber: Er wird daraus seine Lehren ziehen.
Formel 1: Die WM-Wertung nach 15 von 22 Rennen
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Lewis Hamilton | Mercedes | 246,5* |
2 | Max Verstappen | Red Bull | 244,5* |
3 | Valtteri Bottas | Mercedes | 151 |
4 | Lando Norris | McLaren | 139 |
5 | Sergio Perez | Red Bull | 120 |
6 | Carlos Sainz | Ferrari | 112,5* |
7 | Charles Leclerc | Ferrari | 104 |
8 | Daniel Ricciardo | McLaren | 95 |
9 | Pierre Gasly | AlphaTauri | 66 |
10 | Fernando Alonso | Alpine | 58 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Mercedes | 397,5* |
2 | Red Bull | 364,5* |
3 | McLaren | 234 |
4 | Ferrari | 216,5* |
5 | Alpine | 103 |
6 | AlphaTauri | 84 |
7 | Aston Martin | 59 |
8 | Williams | 23 |
9 | Alfa Romeo | 7 |
10 | Haas | 0 |
*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.