Wenn man bei Toto Wolff - abseits seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten, ein Formel-1-Team über Jahre aufzubauen, zu leiten und zu einem der erfolgreichsten Rennställe aller Zeiten zu formen - noch ein weiteres Talent nennen müsste, so käme man zweifelsohne auf seine Begabung im Feld der psychologischen Kriegsführung.
Unermüdlich redete der Mercedes-Boss in den vergangenen Jahren, trotz eines weitestgehend konkurrenzlosen Gesamtpakets seines Teams, die verschiedenen Gegner der Silberpfeile stark. Selbiges stand auch 2021 wieder auf der Agenda. Und so wurde im Vor- und Umfeld der Testfahrten der potenziell stärkste Gegner Red Bull in den Himmel hoch gelobt und zum Titelfavoriten deklariert. Selbst sehe man sich eher in der Rolle des Jägers, so Wolff damals.
Dass einige Wochen später Red Bull dann wirklich auf Augenhöhe mit Mercedes agierte und sich den Sieg von Max Verstappen in Bahrain eher durch eigene strategische Fehler als fehlende Rennpace durch die Finger gehen ließ, löste dementsprechend nicht nur bei Toto Wolff Erstaunen aus. Fast schien es so, als könnte es in der Königsklasse des Motorsports etwas geben, was ihr vor vielen Jahren abhandengekommen zu sein schien: Spannung im Titelkampf.
Doch was lernen wir aus dem ersten Grand Prix der Saison? Kann Red Bull das Niveau halten und Mercedes über eine ganze Saison Paroli bieten? Oder haben die Silberpfeile doch noch einen Trumpf in der Hinterhand und krönen sich zum achten Mal in Folge zum F1-Champion?
Formel 1: Mercedes machen Regeländerungen zu schaffen
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich im Formel-1-Reglement für 2021 einiges getan. Zwar wurden viele Änderungen aufgrund der Corona-Pandemie auf die kommende Saison verschoben, an einigen Stellschrauben wurde dennoch gedreht. So gibt es dieses Jahr etwa einen modifizierten Unterboden. Dabei wurde eine Beschneidung vorgenommen, um den Boliden etwa zehn Prozent des Abtriebs zu kappen und sie langsamer zu machen. Grund dafür ist Reifenhersteller Pirelli, der wegen zu hoher Kosten keine neuen Pneus an den Start bringen wollte.
Das scheint speziell Teams mit einem niedrigen Anstellwinkel hart zu treffen, also eben Mercedes. "Das zählt nicht zu den Stärken unseres Pakets, nicht zum aktuellen Zeitpunkt in der Saison. Das haben wir ja schon thematisiert", meint Pilot Valtteri Bottas, versichert aber auch, dass man "daran arbeite".
Auch sein Chef sieht beim W12 ein ähnliches Problem. "Die Analyse hat tatsächlich erwiesen, dass hoch angestellte Autos weniger Abtrieb verlieren", erklärte Wolff. "Und wir können jetzt nicht einfach unser Auto hinten höherstellen, und alles ist wieder gut. Wir können unsere Hinterradaufhängung nicht so einstellen wie das beispielsweise Red Bull macht, weil unser Rennwagen einem anderen Konzept folgt. Es ist aber nicht nur das. So wie es aussieht, harmonieren bei uns die Reifen mit dem Chassis nicht so wie bei anderen Autos."
Ein Problem, welches nicht einfach über Nacht zu beheben ist. Unter normalen Umständen könnte Mercedes eine intensive Entwicklung hochfahren und versuchen, das Auto durch Updates schneller zu machen. Doch die Rennställe können 2021 nicht unbegrenzte Mittel einsetzen: Im Reglement sind Stunden im Windkanal und bei der Flussdynamikberechnung gekürzt worden, man arbeitet unter einem Budgetdeckel. Zudem muss sich jedes Team darüber im Klaren werden, wie die Ressourcen verteilt werden sollen, um mit dem komplett neuen Rennwagen 2022 nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ob sich vor diesem Hintergrund ein konzeptioneller Nachteil ausradieren lässt, ist fraglich.
So sieht es auch Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin: "Normalerweise würden wir jetzt die Arbeit im Windkanal hochfahren, wir würden nach mehr Abtrieb suchen, die Kollegen der Motorenabteilung würden einige PS zusätzlich aus dem Motor kitzeln." Aber das sei 2021 unmöglich: "Unsere Zeit im Windkanal ist begrenzt. Auch die Arbeit auf den Motorprüfständen ist limitiert, und wir haben nur noch einen Evo-Schritt zur Verfügung, zuvor waren es drei."
Deshalb werde man sich auf "weniger markante Verbesserungen, auf Feinheiten wie die Fahrbarkeit, und eine noch bessere Vorbereitung vor dem GP-Wochenende" konzentrieren. Angesprochen auf den Titelkampf prognostizierte Shovlin, dass es zwischen "Red Bull und uns um Nuancen gehen wird. Aber eines steht fest: Mit dem neuen Reglement werden wir allein durch Entwicklung unsere Gegner nicht abhängen können."
Formel 1: Red Bull punktet durch Aerodynamik
Ganz anders sieht die Situation bei Red Bull aus. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Österreicher damit einen Namen gemacht, ein stets aerodynamisch nahezu perfekt ausbalanciertes Auto zu bauen. Auch 2021 scheint sich das zu bewahrheiten. "Der Red Bull ist vor allem in schnelleren Kurven ziemlich stark", bilanzierte Bottas nach dem Rennen in Bahrain. Vor allem auf Strecken wie jetzt im italienischen Imola (So., ab 15 Uhr im Liveticker) - die weniger für ihre Highspeed-Passagen und mehr wegen der schnellen aufeinanderfolgenden Kurven bekannt ist - ist das von enormem Vorteil.
Hinzu kommt ein Honda-Motor, der sich über die Jahre von einem der schwächsten Antriebseinheiten zu einer der stärksten weiterentwickelt hat. Bereits vor einem Jahr gab Honda offiziell bekannt, nach 2021 keine Motoren mehr für die Königsklasse des Motorsports zu bauen. In ihrer letzten F1-Saison wollen die Japaner aber noch einmal alles geben. "Vor dieser Saison haben wir uns den alten Motor angeschaut, um zu sehen, wie weit wir noch ans Limit gegen können", erklärte Technikchef Yasuaki Asaki bei formula1.com.
"Wir haben schnell gemerkt, dass wir Mercedes nur mit einem weiterentwickelten Motor Paroli bieten können. Dank unserer Mitarbeiter haben wir es rechtzeitig bis zum Saisonstart in Bahrain geschafft", so Asaki weiter. Die Veränderungen führen dazu, dass die Brennkammer im Motor effizienter arbeiten kann: "Wir haben die Bohrungsneigung geändert, indem wir den Abstand zwischen einer Bohrung und der nächsten verringert haben, sodass wir den Motor selbst kürzer und kleiner gemacht haben."
Vor allem die neue Nockenwelle hat es in sich, um noch mehr Power aus dem Honda-Motor heraus zu pressen Sie ist kleiner geworden, benötigt weniger Platz und liegt tiefer im Auto. Hinzu kommen veränderte Ventilwinkel. All diese Modifikationen machen den RB-Antrieb schneller, verlässlicher und damit konkurrenzfähiger.
Verstappen: "Versuche immer, das Maximale herauszuholen"
Auch in Sachen Fahrerpaarung steht Red Bull vielleicht so gut wie nie da. Mega-Talent Max Verstappen wurde mit Sergio Perez eine mehr als fähige Nummer zwei an die Seite gestellt. Mit dem Mexikaner bekommt Red Bull - anders als in den Vorjahren, als die Piloten noch Pierre Gasly und Alexander Albon hießen - taktisch völlig neue Möglichkeiten. Nicht nur kann Perez durch seinen Speed den Niederländer an der Spitze unterstützen, auch in der Entwicklungsarbeit gehört der 31-Jährige zu den erfahrensten Piloten im Feld.
Für Mercedes sind all das gute Gründe, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Schon beim spannenden Auftakt in Bahrain vor drei Wochen war der Silberpfeil das klar unterlegene Auto, wobei der Sakhir International Cicuit auf dem Papier eigentlich nicht als RB-Strecke zu erwarten war. Die Jahre der teils erdrückenden Dominanz könnten der Vergangenheit angehören.
Zu allem Überfluss hat Lewis Hamilton mit Max Verstappen ein Gegner, der vor Selbstverstrauen nur so zu trotzen scheint. Ob er so etwas wie Selbstzweifel kenne, wurde er im Interview mit dem Münchner Merkur und der tz gefragt. "Ich glaube nicht", sagte Verstappen: "Ich versuche immer, das Maximale aus mir herauszuholen. Das gelingt mir sehr gut." In Imola will und kann er das erneut unter Beweis stellen.
Formel 1 2021: Der Rennkalender
Datum | Uhrzeit (MEZ) | Grand Prix | Strecke | Sieger |
28. März | 17 Uhr | Bahrain | Bahrain International Circuit (Sakir) | Lewis Hamilton |
18. April | 15 Uhr | Emilia-Romagna | Autodrome Enzo e Dino Ferrari (Imola) | |
2. Mai | 16 Uhr | Portugal | Autodromo Internacional do Algarve (Portimao) | |
9. Mai | 15 Uhr | Spanien | Circuit de Bracelona-Catalunya (Barcelona) | |
23. Mai | 15 Uhr | Monaco | Circuit de Monaco (Monte-Carlo) | |
6. Juni | 14 Uhr | Aserbaidschan | Baku City Circuit (Baku) | |
13. Juni | 20 Uhr | Kanada | Circuit Gilles-Villeneuve (Montreal) | |
27. Juni | 15 Uhr | Frankreich | Circuit Paul Ricard (Le Castellet) | |
4. Juli | 15 Uhr | Österreich | Red Bull Ring (Spielberg) | |
18. Juli | 16 Uhr | Großbritannien | Silverstone Circuit (Silverstone) | |
1. August | 15 Uhr | Ungarn | Hungaroring (Budapest) | |
29. August | 15 Uhr | Belgien | Circuit de Spa-Francorchamps (Spa) | |
5. September | 15 Uhr | Niederlande | Circuit Park Zandvoort (Zandvoort) | |
12. September | 15 Uhr | Italien | Autodromo Nazionale Monza (Monza) | |
26. September | 14 Uhr | Russland | Sochi Autodrom (Sochi) | |
3. Oktober | 14 Uhr | Singapur | Marina Bay Street Circuit (Singapur) | |
10. Oktober | 7 Uhr | Japan | Suzuka Inernational Racing Course (Suzuka) | |
24. Oktober | 21 Uhr | USA | Circuit of The Americans (Austin) | |
31. Oktober | 20 Uhr | Mexiko | Autodromo Hermanos Rodriguez (Mexiko-Stadt) | |
7. November | 18 Uhr | Brasilien | Autodromo Jose Carlos Pace (Sao Paulo) | |
21. November | 7 Uhr | Australien | Albert Park Circuit (Melbourne) | |
5. Dezember | 17 Uhr | Saudi-Arabien | Jeddah Street Circuit (Jeddah) | |
12. Dezember | 14 Uhr | Abu Dhabi | Yas Marina Circuit (Abu Dhabi) |