SPOX: Herr Fittipaldi, lassen Sie uns über die "guten alten Zeiten" sprechen. Jeder Motorsport-Fan kennt Sie als zweifachen Formel-1-Weltmeister. Was viele nicht wissen, Sie haben einen ausgeprägten Geschäftssinn. Das war schon in Ihrer Jugend so, als Sie sich das Geld für den Motorsport selbst verdienten.
Emerson Fittipaldi: Ich habe erst Lenkräder für Rennautos, dann Gokarts und schließlich einen Wagen für die Formel V von Volkswagen gebaut. Dann ging es über die Prototypen zur Formel 1.
SPOX: Warum hatten Sie ein solch ausgeprägtes Interesse an Ingenieurwissenschaften?
Fittipaldi: Eine Leidenschaft für den Motorsport hatte ich schon immer. Als ich 14 Jahre alt war, war ich der Mechaniker meines Bruders. Er fuhr Gokart. Ich selbst fuhr Motorradrennen mit 50-ccm-Maschinen, die ich selbst vorbereitet habe. Ich habe den mechanischen Teil des Motorsports immer sehr gemocht und liebe ihn bis heute. Als ich zuletzt bei der DTM war, habe ich mir die Autos angesehen, und war begeistert, wie ausgeklügelt sie sind. Wie die Formel 1. Sehr beeindruckend.
SPOX: Ihre Eltern waren allerdings nicht gerade begeistert über ihre Motorradambitionen.
Fittipaldi: Ich fuhr ein Rennen auf einer größeren Maschine und meine Mutter sagte: "Jetzt ist Schluss." Also musste ich zum Gokart wechseln. (lacht) Was kaum einer weiß: Zur selben Zeit bin ich auf den Seen von Sao Paulo Speedboot gefahren. Interlagos - daher kommt der Name: "Zwischen den Seen". Das war sehr gefährlich. Meiner Meinung nach gefährlicher als Motorrad oder Auto zu fahren. Mein Bruder hat sich mit einem der Boote sogar überschlagen. Trotzdem haben Sie mich davon abgehalten, auf zwei Rädern Rennen zu fahren.
SPOX: Danach haben Sie sich auf vier Räder konzentriert. Sie gewannen mit Gokarts, wechselten zur Formel V, gewannen mit 21 Jahren die brasilianische Meisterschaft und gingen dann nach England. Ohne ein Wort Englisch zu sprechen.
Fittipaldi: Wenn man Essen besorgen muss, lernt man eine Sprache sehr schnell. Wenn man es nicht schafft, wird man nicht überleben. (lacht) Ich habe es sehr schnell geschafft. Ich habe als Mechaniker in Wimbledon gearbeitet. Außerdem ist Englisch international die Hauptsprache im Motorsport. Alle technischen Begriffe sind im Englischen einfacher als im Portugiesischen. Das hat es vereinfacht.
SPOX: Der Erfolg auf der Rennstrecke stellte sich umgehend ein. In der Formel 3 gewannen sie mit neun Rennsiegen schon im ersten Jahr die Meisterschaft. Wann hat sich erstmals ein Formel-1-Teamchef bei Ihnen gemeldet?
Fittipaldi: Im September des Jahres, in dem ich in England ankam. 1969. Frank Williams und Colin Chapman von Lotus haben angerufen. Mit einer Woche Abstand. Damals habe ich gelernt, dass man im Leben manchmal auch "nein" sagen muss, selbst bei der größten Versuchung.
SPOX: Wieso?
Fittipaldi: Ich hatte keine Erfahrung mit einem Formel-1-Auto. Ich habe mit der Formel Ford angefangen, dann kam die Formel 3. Und plötzlich sagten sie, ich solle schon zu Saisonbeginn 1970 Formel 1 fahren. Ich wusste, dass ich dafür einfach noch nicht bereit bin. Es fiel mir wirklich schwer, Colin Chapman abzusagen. Ich habe ihn angerufen und ihn mit Mr. Chapman angesprochen. Er bestand darauf, dass ich ihn Colin nenne. Dann habe ich ihm gesagt: "Colin, ich muss mindestens sechs Monate in der Formel 2 fahren. Dann erst bin ich bereit." Ich wusste nicht, wie er reagieren würde. Aber er sagte: "Okay. Ich warte bis zum Juli, bis zum Großbritannien-Grand-Prix."
SPOX: Bis heute sind Chapman und sein damaliges Team Legenden. Er war Gründer von Lotus Cars, Ingenieur, Erfinder. Der Mann, der die ersten Heckflügel an Rennautos baute. Der Mann, der die Monocoque-Chassis erfand. Sieben Konstrukteursweltmeisterschaften und sechs Fahrertitel gewann das Team unter seiner Leitung.
Fittipaldi: ... und sie hatten großartige Fahrer. Jim Clark. Jochen Rindt. Aber es stimmt. Als ich das erste Mal Colin Chapman in seinem Büro traf, zitterten mir die Beine. Ich traf Colin Chapman! Er war ein fantastischer Mann. Für mich war er ein Mentor.
SPOX: Sie haben Jochen Rindt erwähnt. Bis heute ist der Österreicher der einzige Fahrer, der postum Weltmeister wurde. In Mainz geboren, als Waise bei den Großeltern in Graz aufgewachsen, beim Italien-GP 1970 in Ihrer Debütsaison als Teamkollege tödlich verunglückt.
Fittipaldi: Jochen war... nicht der Beste, wenn es um Kommunikation ging. Er war ein sehr ruhiger Typ. Mit mir meinte er es gut. Er hat mir immer geholfen und mich unterstützt. Wir sind in Hockenheim 1970 in der Formel 2 gegeneinander gefahren. Mein erstes Formel-2-Rennen. Ich glaube, er hat gewonnen.
SPOX: Sieger war Clay Ragazzoni. Rindt gewann das Formel-1-Rennen, bei dem sie Vierter wurden.
Fittipaldi: Oh. Egal. Er fuhr Lotus, ich fuhr Lotus. Da begann unsere Freundschaft. Als ich in die Formel 1 kam, half er mir oft. Er war mein Lehrer und gab mir Tipps. Das war im Juli. Im September starb er in Monza. Es war ein großer Schock. Nicht nur für mich, auch für meine Familie. Wir wussten, dass es ein Risiko gibt. Aber plötzlich war es Realität.
SPOX: Glauben Sie, es war damals einfacher, Freundschaften unter Fahrern zu schließen?
Fittipaldi: Wir hatten alle voreinander Respekt, weil das Risiko so hoch war. Wir haben viel miteinander gesprochen, wenn wir nicht im Cockpit waren. Es gab echte Kameradschaft. Im Auto haben wir einander bekämpft, außerhalb waren wir uns sehr nah. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie man die Sicherheit im Grand-Prix-Sport verbessern kann. Jackie Stewart und Jo Bonnier aus Schweden waren da ganz vorn. Leider ist Jo 1972 tödlich verunglückt. Die Statistik damals war schlimm: Wir waren 20 Fahrer zu Beginn der Saison. Die Chance, das Jahr zu überleben, stand 7:1.
SPOX: Wie sind Sie mit diesem extremen Risiko umgegangen?
Fittipaldi: Das war sehr schwer. Wenn ich mittwochs oder donnerstags mit meinem Gepäck von zu Hause aufgebrochen bin, habe ich mich jedes Mal gefragt: "Werde ich wieder zurückkehren?" Aber sobald ich an der Rennstrecke war, lag der Fokus auf dem Fahren. Es gab plötzlich keine Sorgen mehr. Aber zu Hause dachte ich dauerhaft daran, dass es das letzte Mal sein könnte, dass ich dort bin. Einer der größten Fortschritte im heutigen Motorsport ist die Sicherheit, dank der Kohlefaser.
SPOX: Die Formel 1 diskutiert seit Ewigkeiten über die Einführung eines Kopfschutzes, des sogenannten Halos. Mittlerweile ist die Entscheidung vertagt, im Jahr 2017 fahren die Autos noch ohne. Einige Fahrer wehren sich dagegen, etwa Lewis Hamilton. Er sagte, es müsse im Motorsport Risiken geben und wolle so ein Auto nicht fahren.
Fittipaldi: Das ist seine Meinung. Ich habe einen Sohn, der neun Jahre alt ist und Gokart fährt. Wenn er es eines Tages in die Formel 1 schaffen sollte, wäre ich froh darum, wenn es dieses Sicherheitssystem gäbe. Da können Sie sicher sein. Es ist die Zukunft. Die Fahrer müssen mehr und mehr geschützt werden.
SPOX: Die Diskussionen um den Zustand der Formel 1 halten sich seit Jahren. Wie sehen Sie den Zustand der Serie?
Fittipaldi: Es braucht große Änderungen. Die kleinen Teams müssen mehr Chancen haben. Die Abstände zwischen dem schnellsten und dem langsamsten Team sind zu groß. Für mich ist es eine Fahrermeisterschaft und keine der Autos. Lewis Hamilton, Fernando Alonso, Sebastian Vettel, Felipe Massa - sie alle sind sehr talentiert. Gäbe es eine Zeitmaschine und würden wir sie in meine aktive Zeit bringen, wären sie vorne dabei. Die Formel 1 muss sich ändern.