"Hände weg, die gehören uns!", überschrieb Toro Rosso die Pressemitteilung bezüglich seiner Fahrerpaarung am Samstag des US-GP-Wochenendes. In der Saison 2017 sollen Daniil Kvyat und Carlos Sainz jr. weiter für die kleinen Bullen fahren.
Die Reaktionen auf die Verlängerung könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Kvyat sich beinahe überschwänglich freute, trotz Degradierung vom Red Bull Racing Team nach seinem Heimrennen in Russland und den folgenden, mittelmäßigen Resultaten ein weiteres Jahr für den italienischen Rennstall des österreichischen Getränke-, Sport- und Medienimperiums starten zu dürfen, äußerte sich Sainz nüchtern.
Angesichts der umfassenden Regeländerungen zur Saison 2017 mit wesentlich schnelleren Autos sei es gut zu wissen, dass Kvyat sein Teamkollege bleibe. Man kenne sich, weil man seit dem Jahr 2010 Rennen zusammen fahre. Man arbeite gut zusammen.
Nüchtern, wenig euphorisch. Der Spanier hatte einen Grund.
Sainz wollte Toro Rosso verlassen
Sainz' Verbleib bei Toro Rosso war unfreiwillig. Red Bull hatte schon am 29. Juli 2016 bekanntgeben, dass der 22 Jahre alte Madrilene im Jahr 2017 seine dritte Saison für den Rennstall antreten wird. Ungewöhnlich früh für den Nachwuchsrennstall.
Ein Blick auf die Details verrät den Hintergrund: Entgegen der üblichen Gewohnheiten veröffentlichte Toro Rosso kein Zitat seines Fahrers, als das Team die Verlängerung ankündigte. Keine Spur von Freude, dem Einschwören auf gemeinsame Ziele. Stattdessen lobte nur Teamchef Franz Tost die Leistungen seines Talents.
Der Fahrer blieb stumm. Sainz hätte sich gewünscht, dass jemand Hand an ihn legt. Vorzugsweise intensiv.
Red Bull verhinderte Wechsel zu Renault
Nach zwei Jahren Ausbildung sah er sich bereit für den nächsten Schritt. "Er war kurz davor zu gehen, weil er ein wirklich interessantes Angebot hatte", verriet Carlos Sainz sr. dem spanischen Radioprogramm Onda Cero: "Aber Red Bull hat ihn letztlich nicht gehen lassen. Sie brauchen ihn ein weiteres Jahr."
Red Bull, seit der Saison 2010 sein größter Förderer, verlängerte den Vertrag per Option. Das aussichtsreiche Angebot, ein Werksfahrervertrag bei Renault, konnte Sainz jr. nicht annehmen. Den begehrten Platz beim Rennstall mit Sitz in Enstone, der in absehbarer Zeit um die Weltmeisterschaft fahren könnte, sicherte sich Nico Hülkenberg. Mit einem mehrjährigen Vertrag.
Sainz' Dilemma: Er weiß nicht, ob ihn Renault Ende 2017 noch will. Mit Esteban Ocon ein französisches Talent neben den Deutschen zu setzen, würde für den Konzern aus Marketingperspektive mehr Sinn ergeben.
Sainz-Wechsel zu Red Bull Racing unwahrscheinlich
Ein Wechsel zum Red-Bull-Hauptteam scheint kurzfristig ebenso unrealistisch. Max Verstappen und Daniel Ricciardo wissen um die Stärke ihres Teams. Das Auto könnte schon zur Saison 2017 weltmeistertauglich sein, wenn Renault die Antriebseinheit nochmals verbessert.
Auch für den Fall, dass Ricciardo sich irgendwann eine neue Herausforderung sucht, für Sainz würde es schwer aufzurücken. Denn was Red Bull Racing will, Unterordnung unter die teamtaktischen Überlegungen, wird es mit Sainz und Verstappen in einem Team kaum geben.
"Sainz wird in der Öffentlichkeit weit unter Wert geschlagen. Der einzige Fehler, den er macht, ist, dass er am Freitag zu stark beginnt und sich dann nicht weiter steigert. Aber warum die Resultate nicht so da sind? Das ist ganz einfach Pech", hatte Motorsportberater Helmut Marko zwar gegenüber Motorsport-Total betont, als er den niederländischen Teenager zum A-Team beförderte.
Verstappen und Sainz sind Rivalen
Doch der Tausch Verstappen gegen Kvyat war nicht nur mit den schwankenden Leistungen des Russen begründet. "Auf der anderen Seite gab es eine ziemliche Unruhe bei Toro Rosso zwischen Verstappen und Sainz. Wir haben damit intern mehrere Probleme erledigt", verriet Marko schon im Mai 2016. Warum sollte Red Bull die beiden Hitzköpfe im A-Team wieder zusammenbringen und sich damit neue Probleme ins Haus holen?
"Es gab Rivalität", gab auch Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost im August zu. Beim Saisonauftakt in Melbourne hatten sich seine Piloten etwa ein solch erbittertes Duell geliefert, dass sich erst Sainz während der Safety-Car-Phase die Reifen zerstörte und dann Verstappen zum falschen Zeitpunkt in die Box kam, weil er sich im strategischen Nachteil gegenüber dem Spanier wähnte.
Toro Rosso spekuliert auf eigene Stärke
Trotzdem ist Toro Rosso optimistisch, dass Sainz und Verstappen bald wieder auf der Strecke gegeneinander kämpfen. Tost hofft auf die Konkurrenzfähigkeit des eigenen 2017er Wagens: "Dann kann sich auch Carlos gut schlagen, vielleicht bald Rennen gewinnen und hoffentlich irgendwann Weltmeister werden, denn er hat in den Nachwuchsserien gezeigt, dass er das Zeug dazu hat."
Darauf baut selbst Sainz. "Dieses Jahr wurden wir durch die fehlende Leistung behindert", verwies der Spanier auf die mangelnden Pferdestärken des Vorjahresantriebs von Ferrari.
Im nächsten Jahr gibt es dagegen aktuelle Renault-Power-Units. Weil Technikdirektor James Key, von vielen als neuer Adrian Newey gehandelt, ein leistungsfähiges Designteam führt, glaubt Sainz jr. an den großen Wurf: "Ich glaube, Toro Rosso ist nächstes Jahr sehr gut aufgestellt, um die volle Leistungsfähigkeit des Autos mit Dany und mir auszuschöpfen. Und ich glaube wirklich, dass wir in der Konstrukteurs-WM ein Stück nach vorne kommen können."
Aktuell steht das Team aus Faenza auf Platz 7. Sainz' persönliche Ziele werden im Jahr 2017 also kaum zu erreichen sein. Doch die Zeit spielt ihm in die Karten: Mit nur 22 Jahren hat er noch 15 Jahre Zeit für den großen Wurf.
Euphorie nach Alonso-Duell
Bis die Gelegenheit sich ergibt, freut der Formel-Renault-3.5-Meister der Saison 2014 sich über die kleinen Dinge. "Es ist schon eine große Genugtuung, ein Formel-1-Fahrer zu sein, weil man gegen die 21 besten Fahrer der Welt Rennen fährt", so Sainz.
Besonders die Gegenwart seines Jugendidols Fernando Alonso motiviert ihn. "Als ich aufgewachsen bin, habe ich zu ihm aufgesehen, seit er im Jahr 2003 in die Formel 1 kam. Ich habe alle seine Rennen gesehen und plötzlich war ich in der Lage, gegen ihn in der letzten Runde in Austin um Platz 5 zu kämpfen", so Sainz. Beim Fahren habe er das kaum realisiert: "Wenn man ins Bett geht und etwas darüber nachdenkt, merkt man, dass es ein bisschen spezieller war. Es war aufregend und ich habe es sehr genossen.
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