Von Ulrike Weinrich aus Wimbledon
Nach 2:56 Stunden verwandelte Novak auf Court 18 seinen dritten Matchball dank seines 16. Asses und bejubelte seinen bislang größten Erfolg, in dem er die Hände vors Gesicht schlug. Es ist der erste Sieg des 24-Jährigen gegen einen Spieler aus den Top 20. Zudem darf sich Novak über ein bisheriges Preisgeld in Höhe von 100.000 britischen Pfund (rund 113.000 Euro) freuen - das ist fast die Hälfte dessen, was er in seiner bisherigen Karriere eingestrichen hat (umgerechnet rund 275.000 Euro).
Dominic Thiem hatte es prophezeit: "Die Reise von Dennis ist noch nicht zu Ende"
Bereits am Tag zuvor hatte Novaks Kumpel Dominic Thiem geunkt: "Die Reise von Dennis hier ist noch nicht zu Ende." Und so war es auch. Beeindruckend cool, aber auch absolut fokussiert betrat der Schützling von Günter Bresnik den Platz. Respekt zeigte er vor dem ehemaligen Top-Ten-Spieler Pouille, der 2016 immerhin das Viertelfinale von Wimbledon und Flushing Meadows erreicht hatte, in keinster Weise. Er ließ sich auch nicht davon beeindrucken, dass der Franzose einen 0:2-Satzrückstand ausgleichen konnte.
Erst 2017 hatte ein Qualifikant aus der Alpenrepublik an der Church Road für eine kleine Sensation gesorgt. Sebastian Ofner war völlig unerwartet bis in die dritte Runde vorgestoßen - und musste sich dann Alexander Zverev geschlagen geben. Novak indes erwischte in den grünen Kathedrale des Tennis-Sports erneut einen Auftakt nach Maß. Gleich das erste Aufschlagspiel nahm er Pouille ab, nachdem Österreichs Nummer vier eine Rückhand umlaufen hatte und seine Taktik offenlegte: Volle Kraft voraus.
Unmittelbar danach gewann er sein Service zu Null - es war ein weiteres Statement des sichtlich selbstbewussten Rechtshänders, der bei seinen drei Quali-Erfolgen in der ausgelagerten Anlage in Roehampton sowie in der ersten Runde keinen einzigen Satz abgegeben hatte.
Gegen Haas-Schützling war Novak hellwach
Bei seiner ersten Major-Hauptfeldteilnahme hatte Novak bei den Australian Open im Januar 2018 sein Auftaktmatch gegen ATP-Weltmeister Grigor Dimitrov (Bulgarien) verloren. Doch gegen Pouille, der von Tommy Haas beraten wird, präsentierte er sich hellwach.
Nicht zuletzt, weil Novak stets mutig agierte. Auch beim lange Zeit einzigen Breakball des Franzosen bei Stand von 2:1 im ersten Durchgang. Schnell wurde deutlich, dass eine der wirkungsvollsten Waffen des Bresnik-Schützlings, der Aufschlag, zum Matchwinner werden könnte. Mit seinem bereits sechsten Ass holte er sich das 5:3 und machte wenig später und nach insgesamt 26 Minuten Satz eins zu.
Starke Aufschläge als Basis für den Überraschungscoup
In 84 Prozent der Fälle machte er bis dato den Punkt, wenn das erste Service kam (83 Prozent beim zweiten Aufschlag). Pouille konnte auch in dieser Statistik nicht mithalten (67 und 63 Prozent). Zum ersten Mal ging der 24-Jährige aus Grande-Synthe beim 1:0 im zweiten Durchgang in Führung, doch Novak gelang kurz darauf das Break zum 2:1.
Pouille ließ sich danach in einer medizinischen Auszeit am rechten Bein behandelt. Der Underdog frönte derweil seinem Ritual beim Seitenwechsel: Er richtete seine weiße Kappe neu aus. Auch in der Folge war der in Wiener Neustadt geborene Novak zunächst weiter der dominierende Spieler.
Allerdings vergab er im Tiebreak des dritten Satzes gleich zwei Matchbälle - was sich rächte. Das Blatt wendete sich im weiteren Verlauf: Die Durchgänge drei und vier gingen an den nun immer konstanter werdenden Pouille. Novak bestand aber auch diese Nervenprobe und schlug im Stile eines abgezockten Rasenspezialisten zurück: Mit starken Aufschlägen als Basis.
Novak mit eisernen Nerven im entscheidenden Satz
Er startete vielversprechend in die entscheidende Phase: Mit einem Break zum 1:0 im fünften Satz. Pouille glich aber zum 2:2 aus. Es entwickelte sich ein Match auf Biegen und Brechen. Erneut nahm Novak dem Haas-Schützling das Service ab - und legte sogar noch nach. Als Belohnung wartete das Happy End einer Nervenschlacht.
Bereits vor dem Turnier hatte French-Open-Finalist Dominic Thiem (Nr. 7), der am Dienstag seine Erstrundenpartie gegen Marcos Baghdatis (Zypern) verletzt aufgeben musste, auf die Qualitäten seines Kumpels hingewiesen: "Dennis hat das in die Wiege gelegt bekommen, wie man auf Rasen spielt. Er ist so natürlich auf dem Belag - und das schon seit Junioren-Zeiten."