"Ich habe eine fantastische Beziehung zu ihm. Er hat so viel Talent, wir lieben ihn über alles": Joelinton zählt zu den Lieblingsschülern von Newcastle-Trainer Eddie Howe. Das machen nicht nur euphorische Aussagen deutlich, sondern auch sein Stammplatz in der Startelf der finanziell revitalisierten "Magpies", die spätestens nach der umstrittenen Saudi-Übernahme mit Rang zwei wieder im Spitzenfeld der Premier League andocken. Im ersten Spiel nach der WM-Pause verräumte Newcastle Leicester auswärts mit 3:0, Joelinton traf und spielte erneut groß auf.
Warme Worte wie jene von Coach Howe hörte Joelinton in seinen beiden Jahren beim SK Rapid zwischen 2016 und 2018 selten. Damals agierte der Brasilianer, ausgeliehen von Bundesligist TSG Hoffenheim, meistens als Mittelstürmer, war unter den Fans als Chancentod verschrien und in der breiten Masse per Definition kein Publikumsliebling.
Seither ist die sportliche Entwicklung des nun 26-Jährigen eine Erstaunliche: Joelinton ist aktuell einer der besseren Achter in der heißesten Liga des Weltfußballs.
Förderer Fredy Bickel über Joelinton: "Potenzial sofort gesehen"
Während manche Kiebitze des österreichischen Fußballs mit hochgezogenen Augenbrauen in die nordöstlichste Großstadt Englands blicken, ist einer nicht völlig überrascht: Fredy Bickel. Der Schweizer heuerte rund sechs Monate nach Joelinton als Geschäftsführer bei Rapid Wien an und wurde rasch Bewunderer des jungen Spielers. "Eigentlich hat man sofort gesehen, dass er unglaubliches Potenzial hat. Die große Frage war schon damals seine Position. Wir haben diskutiert: Ist er ein Stürmer, eine hängende Spitze oder sogar ein Achter?", erinnert sich Bickel im Gespräch mit SPOX.
Meistens agierte Joelinton als Angreifer und traf den Kasten nicht. "Es gab einen guten Spruch von Trainer Goran Djuricin: Wir haben gute Stürmer, die das Tor nicht treffen. Das war auf Joelinton bezogen", erinnert sich Bickel. Ein Umstand, der wohl seiner Unerfahrenheit geschuldet war, vermutet Bickel. 21 Tore erzielte Joelinton in 79 Spielen für Rapid, half dabei aber anderweitig. "Er hat oft drei Gegenspieler auf sich gezogen, damit hat er seinen Mitspielern geholfen", so Bickel. Qualitäten, die nicht alle sahen. Joelintons Spiel sorgte oft für Rastlosigkeit im leidenschaftlichen Rapid-Publikum, auf Sozialen Netzwerken wurden nicht selten unschöne Worte über den schüchternen Leihspieler gewechselt.
Zu viele Pizzen für Joelinton
"Das war unglaublich für mich. Er bekam das ja auch mit. Joelinton ist ein unglaublich lieber, sensibler Mensch. Er war jung, neu in Wien, hat hier und da eine Pizza zu viel gegessen - es war schwierig für ihn", sagt Bickel. "Aber er wollte vorwärts kommen, hat sich extrem bemüht Deutsch zu lernen, hat aber auch gespürt, dass ihn die Zuschauer gar nie richtig geschätzt haben."
Eine Deutschlehrerin nahm sich Joelinton persönlich an, zeigte ihm die Eigenheiten der Stadt und war um Integration bemüht. Und das sehr erfolgreich. "I bin a Wiener", sollte Joelinton über seine Zeit in Hütteldorf sagen. "Wir haben gewusst, was er für ein Potenzial hat und wollten ihn länger im Verein behalten. Das war leider schwierig im Verein durchzubringen, es wurde gespürt, dass er von außen nicht so geschätzt wird."
Bickel kämpfte für eine weitere Zusammenarbeit mit Joelinton, ein Kampf gegen Windmühlen. Die von Vorgänger Andreas Müller ausgehandelte Kaufoption war für Rapid nicht zu stemmen. "Die Klausel belief sich auf eine höhere einstellige Millionensumme, das war jenseits für Rapid. Es war schwer, sie runter zu verhandeln. Ich habe versucht, 40 Prozent Weiterverkaufsbeteiligung bei den Deutschen zu lassen, damit sie richtig profitieren. Wir haben alle rechtlichen Möglichkeiten versucht. Aber wir hatten auch nicht so großen Spielraum, nicht böse gemeint, aber nicht alle im Verein wollten ihn so unbedingt", ärgert sich Bickel heute noch.
"Das fand ich damals schade. Wir haben durch Transfers, allen voran durch Maximilian Wöber für über sechs Millionen Euro zu Ajax, gutes Geld eingenommen. Dem Verein hätte es gut getan, mehr Geld auszugeben. Wie bei Kalajdzic, als man nicht mehr als eine halbe Million Euro an die Admira bezahlen wollte. Man konnte erahnen, wie gut er ist. Mit Kalajdzic war ja schon alles klar, der Vertrag stand schon. Er hatte zugesagt, aber Rapid wollte nicht über eine Grenze hinaus, zu meiner Enttäuschung. Es fehlte der Mut. Wenn alle um Joelinton gekämpft hätten, wäre eine Chance da gewesen. Joelinton hatte darüber nachgedacht zu bleiben und hätte selbst mitgeholfen. Mit etwas mehr Wille in die gleiche Richtung hätte man damals etwas mehr geschafft."
Joelintons unerwarteter Durchbruch in Hoffenheim
Im Sommer 2018 kehrte Joelinton zu Stammverein TSG Hoffenheim zurück. Mit ungewisser Zukunft, der Bundesligist suchte weiter einen Abnehmer für Joelinton. Doch spätestens in der Vorbereitung begann sich der Wind zu drehen und der laufstarke Offensivspieler gewann die Gunst von Trainer Julian Nagelsmann. "Der Gegenspieler hat das Gefühl, er ist vorbei an ihm, und dann kommt er mit seinen ewig langen Gräten", sollte sein Trainer schwärmen, nachdem sich Joelinton in der Hoffenheimer Mannschaft fest spielte und nach Saisonende auf 20 Scorerpunkte in 35 Partien in allen Bewerben zurückblicken konnte. Die TSG Hoffenheim war auf Gold gestoßen.
Und nicht nur Torbeteiligungen machten Joelinton plötzlich zum wertvollen Asset. "Er ist eine furchtbare Kante", beschrieb TSG-Sportdirektor Alexander Rosen seinen Schützling. Rapids Hoffnung glitt von einem weiteren Engagement in Hütteldorf hin zu einer saftigen Weiterverkaufsbeteiligung - der Wiener Traditionsverein besaß noch immer eine Beteiligung von zehn Prozent bei einem Verkauf des Spielers - eine Belohnung dafür, dass man die Entwicklung des Brasilianers beschleunigte.
Doch es gab einen Haken. "Leider konnten wir nicht mitverdienen, weil unsere Beteiligung nur für ein Jahr galt, und der Spieler wurde etwas später verkauft", erinnert sich Bickel mit etwas Bauchweh zurück. Eine Sprunggelenksverletzung verzögerte Joelintons Abgang aus Hoffenheim. Ende Juli 2019 vermeldete die TSG Joelintons Verkauf an Newcastle United - für satte 44 Millionen Euro. Statt 4,4 Millionen Euro mitzuschneiden, schaute Rapid durch die Finger - ob die TSG den Deal bewusst verzögerte, darüber kann nur spekuliert werden.
Explosion nach Positionswechsel
In Joelintons ersten beiden Saisonen in Newcastle wiederholte sich die Geschichte ein wenig. Der Brasilianer agierte als Mittelstürmer und Unruheherd für Defensivspieler, jedoch mit fehlender Effizienz. Erst in der abgelaufenen Saison, speziell unter Trainer Eddie Howe, keimte die Idee, Joelinton auf der Acht einzusetzen. Mit Erfolg - er packte wieder "die langen Gräten" aus und präsentierte sich als "furchtbare Kante". Kein Newcastle-Offensivspieler fing phasenweise mehr Bälle ab, klärte den Ball öfter und registriert mehr erfolgreiche Tacklings.
"Wenn ein Spieler einen so dramatischen Sprung nach vorne macht, sorgt das natürlich für Genugtuung, aber ich nehme dafür keine Anerkennung an, die gilt nur 'Joe'", sagte Howe zu The Athletic. "Ich kann mich an meine erste Trainingssession erinnern. Ich dachte: 'Wow, was ist das für ein Spieler?’ Ich wusste nicht so viel über ihn, aber er zeigte außergewöhnliches Talent."
Obwohl nach der Saudi-Übernahme nun Millionen nach Newcastle fließen - im Sommer heuerten etwa Alexander Isak (70 Millionen Euro), Sven Botman (37 Millionen Euro) oder Matt Targett (17,5 Millionen Euro) an - muss sich Joelinton im Gegensatz zu einigen Teamkollegen wohl keine großen Sorgen um seinen Platz im Kader machen. Der 26-Jährige ist ein integraler Baustein bei Newcastle United - ein Umstand, der vor einigen Jahr undenkbar erschien.